zu Fuß in ein neues Lebensgefühl auf dem Jakobsweg

Tag 0 portugiesischer Jakobsweg 09.06.2021

Vorbereitungen

Was soll ich sagen? Gefühlt wirke ich nach Außen tough, straight. Doch dieser Weg, da bin ich mir sicher, wird seine Spuren hinterlassen. Ob ich will oder nicht. Ich bin mir sicher, er wird einiges ins Rollen bringen. Etwas abschließen und den kleinen Kontrolletti in mir auf die Probe stellen. Wobei ich ja bewusst auf Regenschirm, Regenjacke und langer Hose verzichtet habe. Denn schließlich laufe ich ja im Juni in Portugal und Spanien. Da ist es angehnehm warm und Regen habe ich nicht bestellt. (Ich kann nur jetzt schon sagen: es lohnt, weiter zu lesen. Denn irgendwie habe ich in Erdkunde nicht ganz aufgepasst, wo Galizien in Spanien liegt;-)) Ganz kaphamäßig habe ich ca. eine Woche vor Abflug alle Dinge zusammen gelegt.

Es war klar, dass ich meine Ausrüstung/Klamotten aufs Minimum reduzieren wollte. Erstens, weil ich mir bewusst bin, dass jedes Kilogramm sich bemerkbar macht. Außerdem wollte ich mich selbst testen. Wie ist es, wenn man nur 2 Shirts, 1 kurze Hose, eine Zipphose, eine Long-Sleevejacke, ein Banff, 3 Paar Socken, Wanderschuhe und zum Wechseln ein Paar Treckingsandalen dabei hat? Wie ist es, wenn man nicht unbedingt die Möglichkeit hat, im Luxus zu leben und alle Dinge selbstverständlich sind. Nehme ich ein Tablet mit? Benötige ich eine Kamera? Welches Buch kann ich mitnehmen. Nach dem ersten Probepacken war klar, dass es purer Luxus ist, ein Tablet mitzuschleppen. Buch durfte auch daheim bleiben. Sonnencreme und als Frau habe ich  mir 6 Unterhosen gegönnt und drei Paar Socken. Zudem eine Trockenseife fürs Duschen, Haare waschen und Klamotten reinigen, Zahnbürste und Zahnpasta, sowie Rasierer. Ein Schlumbelhose, die gleichzeitig als Schlafanzug dient und kurz vor Abflug kam noch mein dünner Schlafsack an. Zudem mein Reise-Yoga-Tuch und Bikini. Ebenso ein Mirkofaserhandtuch in groß.

Gefühle

Meine Gefühle waren gemischt. Voller Freude. Aber auch Angst habe ich wahrgenommen. Mir war mulmig, denn ich bin das letzte Mal 2001 alleine verreist. So richtig alleine war ich eigentlich noch nie unterwegs. Hab ich den Mund zu voll genommen? Habe ich mich überhaupt “richtig” vorbereitet? Kann ich als Frau alleine reisen? Wie kann ich mich auf den Weg machen, ohne mir die Tagesetappen vorabgeplant zu haben? Jeder schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, dass ich wirklich nichts geplant habe. OK, ich hab die Facebookgruppe im Hintergrund, habe mir eine kleine Karte aufs Handy geladen, aber das wars. Hin- und Rückflug. Die sind mit einem mega Schnapper gebucht.

Ich gönne mir drei Wochen. Ichweiß aus den Erzählungen und meiner Recherche, dass dieser Weg in 12 Tagen zu schaffen ist. Doch mir ist auch bewusst, dass ich mich auf dieser Reise nicht unter Druck setzen lassen möchte. Heißt in der Praxis ich fliege am 09.06. weg und der Rückflug ist datiert auf den 21.06. Somit habe ich genügend Zeit, den Weg zu laufen und im Anschluss noch ein paar Tage, um “Runter zu kommen”. Denn das ist ein Grund, warum ich den Weg laufe. Ich möchte meine Ruhe haben. Ich will mich nur um mich kümmern. Keine Arbeit, keine Wäsche, kein gar nix. Einfach nur laufen, essen, schlafen. Den Ausstieg aus dem Job verdauen, gesund und meine Zipperlein loswerden und meine Covid-Genesung voran treiben. Nicht zu unterschätzen: mit einem Jahr Verspätung den neuen Lebensabschnitt mit 40 beginnen.

Ich habe außer für die erste Nacht in Porto nichts gebucht. Doch, ich gestehe: zwei habe ich mir aus der Facebookgruppe gemerkt. In Vila Cha das Café Sandra, sowie mitten auf dem Weg eine Unterkunft mitten auf dem Central: Fernanda, die wohl eine Ikone sein soll. Wenn mich jemand fragt, welchen Weg ich überhaupt laufen will, auch hierzu habe ich keine wirkliche Antwort. Ich kenne die Rota vicentina, die Küste Portugal, somit fange ich schon bei der Planung an, auf mein Bauchgefühl zu hören und nehme ein Gefühl in meinem Bauch war, welches mir sagt: laufe lieber auf dem Central. Küste kennst Du schon und die unten an der Westalgarve war mega. Die Erfahrung sagt Dir, im Landesinneren lernst Du das wahre Leben kennen.

Somit ist hier ja schon der erste Schritt getan. Auf das Bauchgefühl hören und nicht alles planen und kontrollieren wollen, wie es ja meißtens im Alltag ist. Dennoch: Fragen über Fragen. Bekommen es Mann und Kinder daheim hin? Und dann noch die netten Seitenhiebe: wie kannst Du nur so lange fortfahren? Was machen die Kids? Der Mann? Das Haus? Wie soll das alles funktionieren? Dennoch auch viele die gesagt haben: wow, so was traue ich mich nicht. Toll, dass Du das machst. Recht hast Du!

 

Abflug

Unter Covid Bedingungen wurde ich von meiner Mutter an den Frankfurter Flughafen gefahren. Wenn der Odenwälder auf Reisen geht, natürlich mit genügend Zeitpuffer. Schließlich ist die Autobahn mit evtl. Stau eine große Unbekannte. Wenn meine Mutter einen zum Flughafen fährt, dann mit extra Zeitpuffer. Ich probiere nach Außen hin entspannt und ruhig zu sein. Merke aber immer mehr, dass ich doch aufgeregt bin. Wird alles klappen? Habe ich alle Dokumente dabei? Da ich erst ein paar Tage zuvor kapiert hatte, dass Antigentests und PCR Tests nicht das Gleiche sind (Ja, so war das noch 2021) waren die zwei Tage vor Abflug schon aufregend. Termin für den PCR Test, warten und hoffen, dass das Ergebnis pünktlich kommt, um online das Boarding und Einreiseverfahren auszufüllen. Der PCR Test war negativ, ich konnte alles ausfüllen und habe nach deutscher Gründlichkeit alles in Kopie dabei. Meine Mutter lässt mich am Flughafen raus. Gibt mir noch einen Reiseproviant mit und dann stehe ich als Landei auf dem Frankfurter Flughafen. Mit glasigen Augen. Respekt vor meiner eigenen Entscheidung.

Wie immer: extra Schalter wegen dem Rucksack. Sperrgut. Ich gehe zum Schalter und vor mir eine rießen Schlange. Diverse Hunde müssen abgefertigt werden. Ich stelle mich an und bin nach einer dreiviertel Stunde froh, dass genügend Puffer vorhanden ist. Denn es geht nur zäh voran. Rucksackabgabe hat irgendwann funktioniert und dann ging es strammen Schrittes durch den Flughafen. Nix mit entspannt, denn ich kam gerade noch so rechtzeitig vor Abflug am Gate an.

Ich setze mich also hin und schaue, ob ich potentielle Pilgerer erkenne, doch am Gate selbst nicht. Dies ändert sich direkt im Flugzeug. Ich entdecke eine Frau (meine Kids würden sagen: ein Alman. D.h. übersetzt: Ziphose, der legendäre gelbe Pilgerwanderführer, den ich selbst nicht habe, Rucksack, Treckingsandalen und ein Sonnenhut), die all die “Vorurteile” erfüllt und rutsche etwas tiefer in den Sitz und schaue an mir herunter. OK, auch nicht besser: Wanderschuhe, aber keine Zipphose, sondern eine schöne bunte, luftige Sommerhose, die ich extra für die Tage danach in Porto mitgenommen habe. Man könnte sagen: oben hui, unten pfui. Egal wie, wir heben ab. Ich realsiere, dass es jetzt wirklich los geht und probiere meine Flug zu genießen. Obwohl auch das gefühlt schon ziemlich lange her ist.

Porto

Der Flug klappt, ich sitze mit meine Gedanken alleine und in Ruhe im Flugzeug. Lande, finde mich zurecht und steige in die Ubahn ein, die mich ins Zentrum von Porto bringen soll. Ein erstes Lebenszeichen in die Freunde- und Familien whatsapp Gruppe. Während ich so da sitze steigt die Frau ein, die ich schon im Flugzeug erspäht habe. Sie setzt sich relativ nah zu mir hin. Nach deutscher Gründlichkeit mit Reiseplan und Rucksack auf dem Schoß. Ich merke, sie ist etwas angespannt. Die Fahrt vom Flughafen zur Innenstadt verläuft normal und beim Aussteigen auf dem Bahnsteig spreche ich sie an und sage, dass wir wohl den gleichen Weg haben. Schwupps sind wir im Gespräch. Es stellt sich raus, dass sie sich noch eine Markthalle anschauen möchte. Ob ich sie kenne, sie wedelt mit einem Reiseführer vor meiner Nase herum. Ich verneine und verkneife mir zu sagen, dass ich weder Reiseführer noch einen Plan (im wahrsten Sinne des Wortes) habe, was es alles in Porto gibt. Das, was sie erzählt klingt interessant, liegt auf dem Weg zu meinem Zimmer in einer Privatunterkunft. Also ziehen wir gemeinsam los. Ich liebe es ja ohne Plan irgendwo entlang zu laufen und Städte zu erkunden. Meine Familie wird mit den Augen rollen, denn so kommen einige Kilometer zusammen;-) Näheres dazu später.

Erlebnisse

Wir stellen schnell fest, dass die besagte Markthalle gerade renoviert wird. Suchen uns ein Café, um etwas zu Essen, denn wir merken beide, dass wir Hunger haben. Tauschen uns aus und sind schnell beim Thema, warum wir den Weg laufen. Und schwupps sind wir mitten drin. Warum laufe ich eigentlich den Weg. Will ich hier alles bis ins Kleinste Detail erörtern. Wie viel will ich preis geben? Am Ende ist mein Warum total nebensächlich, denn das Warum meiner Gegenüber ist ein Klassiker: sie hat gerade eine Krebstherapie hinter sich. Ist verbeamtete Lehrerin und will den Weg laufen und dem Krebs ein Ende einläuten. Schlagartig bin ich auf dem Boden der Tatsachen und bedanke mich, dass dies nicht mein Grund ist und bin demütig, über meine kleinen gesundheitlichen Zipperlein. Wir verabschieden uns, tauschen die Handynummern aus und jede geht in Richtung ihrer Unterkunft. Ich laufe schlendernd durch die Gassen und stelle fest, dass ich super zentral mir ein Zimmer gebucht habe. Ich finde das Haus, erkenne, dass ich eins von drei Zimmern alleine habe, gemeinsames Bad und Esszimmer. Zwei Jungs aus Nordafrika bzw. Frankreich sind ebenfalls da. Ich freue mich, dass ich meine Französisch Kenntnisse aus dem Franze LK wieder ausgraben darf. Bekomme gesagt, was für eine tolle Aussprache ich habe und wie gut ich französisch sprechen würde.  😉 beflügelt mache ich mich fertig und begebe mich auf eine kleine Entdeckungsrunde. Die Wanderschuhe lasse ich daheim, denn 10 Stunden in geschlossenen Schuhen, lassen grüßen, ziehe meine Trekkingsandalen an (Info an Dich, gefühlt schon 20 Jahre alt, aber sehr gut als Alternative und zum Duschen. Zumindest war das der Plan, warum ich die Dinger mitgenommen hatte als einzige Alternative zu den Wanderschuhen).

Das Viertel ist ein relativ Junges. Ich schlendere einfach los und laufe Richtung Douro, dem bekannten Fluss von Porto. Dabei gelange ich durch das Rotlichtviertel und anderen kleinen bunten Gassen, passiere eine große Kirche. Bestaune die Archtiktur in Porto. Und schwanke zwischen schmuddelig und cool. Es gibt diverse Nachrichten mit meiner Mitpilgerin. Da wir unterschiedlich unterwegs sind, bzw. mehrmals aneinander vorbeireden, beschließe ich schon in diesem Moment, dass ich auf dem Jakobsweg keine Rücksicht auf andere nehmen werde. Heißt im Klartext: es ist mein Weg. Und hier werde ich einfach das machen, worauf ich Lust habe. Ich werde, wenn es einfach ist, mich mit Menschen treffen, aber das rumgeiere ich sitze hier, warte und bin dann schon einmal weiter gegangen, darauf habe ich keine Lust. Ich will es unkompliziert, einfach und unverfänglich. Absprachen und Termine habe ich daheim genug. Wenn es sich spontan ergibt, es sich gut anfühlt, dann ja, wenn nein, dann nicht. So ist es dann, dass ich durch Porto schlendere. Am Hafen die Brücke entdecke, ein Live Konzert höre und die Wärme der Sonne genieße. Meine Route findest Du hier. Am Ende esse ich eine Kleinigkeit und laufe wieder zurück und stelle fest, dass meine kleine Sightseeingtour schlappe 10km waren…

Morgen gehts weiter.

LG Yvonne