den inneren Kompass finden

Tag 1: Porto – Vila Cha

Zu Beginn meines Jakobswegs, hab ich von meinen Eltern ein kleines Pilgertagebuch geschenkt bekommen. Ich übernehme quasi einen Teil für Dich hier raus:

Tagespruch

Wähle den Weg über die Bäche und stürze dich nicht gleich ins Meer

Thomas von Aquin

Wegverlauf

So, heute ist es soweit. Nach meiner gestrigen Anreise und einer Nacht mit Kopfweh (Vata lässt grüßen). Wache ich auf, packe meine sieben Sachen (im wahrsten Sinne des Wortes) und verlasse das Hostel. Wie gesagt, die erste Nacht habe ich bewusst nicht in einer Herberge geschlafen. Ich wollte in Ruhe ankommen und Zeit für mich haben. Einen richtigen Kulturschock unter Coronabedingungen wollte ich mir nicht gleich geben. Langsam ankommen. So ist es gegen halb zehn, dass ich das Haus verlasse. Ich laufe meinen gestrigen Weg wieder bis zum Fluss, bestaune die Häuser und entschließe mich, am frühen Morgen auf die Brücke zu gehen. Denn gestern habe ich sie nur von unten bewundert. Wie es im Süden üblich ist, es sind kaum Menschen um diese Uhrzeit auf der Gasse. Kein Bäcker hat offen und somit darf ich mir ein wenig die Zeit vertreiben, denn ich hab Hunger. So ist es, dass ich zur Brücke über dem Doro laufe, bei bestem Wetter Bilder mache und schon langsam ins Entschleunigen komme. Auf dem Weg dahin entdecke ich doch noch einen unscheinbaren Bäcker, kaufe mir die ersten zwei Pasteis de Nata, den obligatorischen Galhao und begebe mich mit google maps auf die Suche zur Kathedrale.

Ich darf mit Verwunderung feststellen, dass ich bei meiner Sightseeing-Tour gestern dort schon einmal war. Doch war es mir nicht bewusst, dass dies die berühmte Kathedrale ist, an welcher meine Pilgerreise anfangen soll. Die ganze Zeit fand ich einen Pilgerausweis unnötig, ich wollte nicht wegen den Stempeln laufen, doch irgendwie zieht es mich an diesem Morgen doch rein. Ich erwerbe einen Pilgerausweis. Mitten auf dem Platz steht ein Saxophonspieler mit toller Musik. Ich setze mich an den Rand, genieße meine Pasteis de Nata und denke mir, dass es nun los geht. Es werden noch fix ein paar emotionale Tränen verdrückt, lausche der Musik und dann stelle ich fest, dass ich gestern mit blinden Augen durch Porto gelaufen bin. Denn: hier ist der Startpunkt. Das heißt, ab hier müssen weitere gelbe Pfeile den Weg mir markieren. Es macht Sinn, die Augen auf zu machen, denn ich habe ja keinen Reiseführer. Und so gehe ich suchend von der Kathedrale los und darf feststellen, dass wirklich an Mauern, Treppenstufen oder Hauswänden in regelmäßigen Abständen die gelben Pfeile aufgemalt sind, die mir ab heute also den Weg zeigen werden. Abermals laufe ich wieder zum Fluss, diesmal mit Blick auf die gelben Pfeile.

Durch die Facebookgruppe ist mir bekannt, dass der Weg von Porto Innenstadt auf den ersten Kilometern nicht sooo dolle sein soll und ich beschließe, mit der legendären Tram zu fahren. Mit meinen rudimentären Portugiesisch Kentnissen frage ich nach dem Weg. Der erste Mann schickt mich Richtung Fluß, dort durfte ich feststellen, dass hier keine Tram fährt, der nächste schickt mich wieder nach oben. Hier gelange ich wieder zum Bahnhof und mit dem dritten Anlauf wird mir die richtige Richtung erklärt.

So, direkt auf den ersten Metern wird die Braunsche Geduld schon auf die Probe gestellt. Aber Hey, ich bin auf dem Jakobsweg. Wegen so was werde ich mir nicht die Laune verderben lassen. Ich laufe also zur Tram und überlege schon auf diesem Weg, ob ich in den Pilgerhimmel komme, denn direkt am ersten Tag überspringe ich einige Kilometer.

Ich darf auf die Tram warten, steige ein und werde bis zum Endpunkt gefahren und fange dann an zu laufen. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich diese Strecke nicht gelaufen bin. Die erste Etappe ist am Anfang von Vorstadtflair geprägt. Links das Meer, ich auf einer Promenade und rechts von mir die Straße. Ich mache das gefühlt für 10m mit, dann entscheide ich mich, in die nächste Busline einzusteigen und für diesen Tag wohl wirklich nicht in den Pilgerhimmel zu gelangen. Während ich im Bus sitze und die Häuser an mir vorbei ziehen, sehe ich in einem Café meine Bekanntschaft von gestern. Sie hat Anschluss gefunden. Das freut mich. Ich glaube, dass es die 500er Busline war. Bei Matosinho steige ich aus. Laufe ein paar Meter und suche die nächsten gelben Pfeile als mich ein Mann anspricht und mir den Weg zeigt. So kann es weitergehen 😉

Linker Hand ist irgendwann ein Café, auch dort werde ich hereingerufen. Der Wirt will mir ganz stolz den ersten Pilgerstempel verpassen. Ich gehe aufs Klo, freue mich mindestens genauso wie er und erlebe immer wieder, dass mir wildfremde Menschen total freundlich “bom caminho” wünschen.

Bald hinter Matosinho fängt der Küstenweg an und ich laufe auf Holzstegen und linkerhand ist das Meer. Da ich mich ja wirklich nur um mich, meinen Hunger und um einen Schlafplatz kümmern muss, halte ich spontan irgendwann am Meer an, lege mich in den Sand und halte ein kleines Nickerchen. Die Küstenlandschaft fängt langsam an. Ich bewundere die Schönheit, doch insgeheim stelle ich den Vergleich zur Rota Vicentina her und beschließe schon auf diesen ersten Kilometern, dass ich meinem ursprünglichem Impuls nachgebe und bei nächster Möglichkeit auf den Central wechsle. Ich bin mir sicher, dass ich dort mehr erlebe, denn ich kenne mich ja und mir ist durchaus bewusst, dass ich am Meer einen Vergleich herstelle und dann bestimmt leichter enttäuscht sein könnte.

Laut Komoot bin ich ca. 30 km unterwegs (inkl. Verlaufen, Tram und Bus, also ca. 19 km zu Fuß) als ich mittags in Vila Cha im Café Sandra ankomme. Auch hier nehme ich mir ein Einzelzimmer mit Dusche und WC. Mache eine kleine Yogaeinheit auf dem Balkon und gehe frisch geduscht mit meiner bunten Stoffhose abends runter ins Café, um etwas zu essen.

Interessante Begegnungen

Im Café treffe ich die ersten Mitpilger. Die interessanteste Begegnung ist ein Typ aus Glasgow. Er erzählt, dass er bereits das fünfte Mal auf dem portugiessichen Jakobsweg unterwegs ist. Im früheren Leben war er Feuerwehrmann, mittlerweile Opa und auch er geht den Caminho auch nach seiner Krebserkrankung.

Während wir uns so unterhalten, fragt er mich, was ich denn hier so mache. Ich erzähle ihm was von mir. Dann schaut er mich verdutzt an und fragt: “you`re a pilgrim? Really. OK, sweetheart: you are the best dressed woman I ever saw! Thought you´re just a normal tourist” 😉 Was tut die Muddi nicht alles. Ich klopfe mir heimlich auf die Schulter, weil diese Hose echt praktisch ist, kaum Gewicht hat und ich sie super abends anziehen kann. Desweiteren treffe ich auf ein junges Mädel aus der Nähe von Wien, eine Sozialpädagogin, die ebenfalls aus dem Job draußen ist und bis zu ihrem Online Studium die Zeit überbrückt. Somit stelle ich auch am zweiten Tag fest, dass jeder seinen eigenen Grund hat, warum er den Weg läuft.

Ach so, durch die Wienerin, die einen Reiseführer hat, kann ich mir die nächsten Seiten fotografieren, denn auch in diesem Reiseführer wird beschrieben, dass der Weg zum Central etwas komplizierter ist. Ich fühle mich dadurch etwas sicherer und gehe beruhigt in mein Zimmer

Müde und zufrieden falle ich ins Bett. Dennoch halte ich die ersten Gedanken in meinem Pilgertagebuch fest, die mich zum Nachdenken bringen. Aber ich habe ja Zeit.

Zahlen, Daten, Fakten

niedrigster Punkt: 60m, höchster Punkt: 160m

30 km, davon aber Tram und Bus

Ausgaben an diesem Tag ca.  60 € von Frühstück über Busfahrt, Unterkunft und Abendessen mit Wein.

Bis Morgen

Yvonne

Wenn Du mir etwas mitteilen willst, freue ich mich megamäßig über einen Kommentar von Dir. Hab ich Dich auf dem Weg getroffen? Bist Du ihn selbst schon gelaufen? Welche Impressionen hattest Du?