kreatives Lösungsdenken auf dem Jakobsweg
Tag 8 O Porrino – Pontesempaio, 17.06.2021
Tagesspruch
Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und dem Menschen doch das Kostbarste stehlen: die Zeit
Napoleon Bonaparte
meine Erlebnisse
nach einer Nacht in einer vollen Herberge mache ich mich auf dem Weg raus aus O Porrino. Am Tag davor musste ich lachen, denn in der Facebookgruppe von Anne Chantal schrieb eine Frau, dass sie sich auf dem Weg dermaßen mit ihrem Mann zerstritten hatte, dass sie vor lauter Wut und Ärger viel schneller am Ziel war. So ähnlich ging es mir, ich ging zum nächsten Bäcker, kaufte den obligatorischen Kaffee, diesmal to go. Durfte mir dafür schon einen netten Kommentar anhören, warum ich keine Zeit hätte, ihn zu trinken, nahm das Croissant und habe mich flugs auf den Weg gemacht, diesen Ort zu verlassen. Ich muss zur Rettung dieser Ortschaft sagen, dass man auf zwei Wegen dorthin gelangen kann. Eine Strecke direkt an der Straße und ein Weg, der zwar länger ist, führt durch ein schönes Waldgebiet.
Nuja, raus war es auch nicht wirklich erquickend. Total langweilig habe ich in meinem Notizbuch stehen. Doch der Jakobsweg ist ja kein Wunschkonzert ;-). Ein paar Kilometer oberhalb erläuft man sich Mos. Und hier gibt es eine wirklich tolle Herberge. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich mir ein Taxi genommen, um hier zu übernachten oder wäre ggf. noch weiter gelaufen. Aber das ist ja alles Spekulation. Hätte ich das nicht gemacht, dann hätte ich Larissa nicht getroffen und hätte keinen schönen Abend dort gehabt. Den Weg so nehmen wie er kommt. Das war mein Plan.
Meine Mutter daheim hat das wohl nicht so genau verstanden. Wobei, aus ihrem Blickwinkel meinte sie es bestimmt nur gut. Jeden Morgen, pünktlich gegen sieben Uhr habe ich eine Info bekommen, wie denn das Wetter werden sollte. An sich nicht schlimm. Doch hat es mein Vorhaben zerschossen, denn ich wollte keine Nachrichten hören, bzw. (ich gestehe, eine kleine Eigenheit von mir, ich gelobe Besserung und finde, der Weg hat da schon einiges gemacht) ich wollte ganz unvoreingenommen auf eventuelle Gegebenheiten reagieren. Wenn Du aber direkt nach dem Aufwachen ne whats app bekommst: „heute soll es regnen, ich wünsche Dir dennoch einen schönen Tag“ so durfte ich lernen, dass ich diese nicht möchte. Ich habe liebevoll probiert, meiner Mutter die Grenze aufzuzeigen, dass ich es wertschätze, mir das aber auf dem Weg nix bringt. Außer schlechte Laune, um dann zu erleben, dass der Wetterbericht nicht gestimmt hat. Soviel zur emanzipierten Anfangvierzigerin. Warum erzähle ich das? Weil es auf dieser Strecke tatsächlich angefangen hat zu regnen. Wenn Du meinen Tag 0 nicht gelesen hast, folgende Info: Ich habe meinen Rucksack ohne Schirm und Regenjacke gepackt, denn schließlich halte ich mich ja in Portugal und Spanien auf…
So laufe ich also mit Regen in Mos ein, entdecke einen Pilgerladen und denke mir, dass ich dort bestimmt nen Schirm finde. Ja, den gab es. Auch Ponchos und alles, was das Pilgerherz begehrt. Der einzige Knackpuntk: gesalzene Preise. Das hat mich wiederum an meiner Pilgerehre gepackt und ich bin weiter im Nieselregen gelaufen. Der Nieselregen wird immer stärker und ich frage mich, ob die Geizhaltung wirklich von Vorteil war. Aber hey, ich bin ja auf dem Weg, um kreatives Lösungsdenken aus der Natur Resilienz in der Praxis umzusetzen. Mein Rucksack hatte im Übrigen einen Regenschutz. So laufe ich also weiter und komme irgendwann an einem Haus vorbei, wo ich auch Menschen erahnen kann. Ich probiere mein Problem zu schildern, denn ich habe im Garten eine Bauplane entdeckt. Wichtigstes Wort auf dem Jakobsweg: Bolsa Plastico! Mein Taschenmesser optimierte diese Regenvariante und hat mich einigermaßen trocken (haha) bis Redondela gebracht. Der erste beste Chinaladen auf der rechten Seite war dann sofort mir und ich habe mir einen Knirps gekauft.
Da ich nun aber doch auch nass war, bin ich in ein Café, habe mir was Warmes zu Essen bestellt und einen Minztee. Der Kellner war so nett, dass er mein Heftchen mit den Stempeln oben auf die Espressomaschine zum Trocknen gelegt hat. Nach zwei Stunden habe ich es wieder verlassen. Ein Dank an die Gastfreundschaft. Ich habe mich entschlossen, weiter zu laufen, da ich den Abend wieder alleine bzw. in neuer Gesellschaft verbringen wollte.
So bin ich also noch weiter bis Pontesempoi gelaufen. Ich war zwar noch nie in Norwegen mit seinen Fjorden, doch so stelle ich es mir vor. Aufgrund des Regens konnte ich die landschaftliche Schönheit nur erahnen.
Ich merke immer mehr, wie gut mir der Weg tut. Meine körperlichen Zipperlein sind fast gar nicht mehr vorhanden. Ich merke aber auch mit Schrecken, dass der Weg, der mir anfangs so lange vor kommt, in ca. 4-5 Tagen vorbei sein wird. Was habe ich alles erwartet, was passieren wird? Eine innerliche Erleuchtung? Was sagt der Weg aus? Was sagt die Optik über andere Menschen aus? Wer steckt hinter der Fassade. So geht mir auch meine Bekanntschaft aus O Porrino nicht aus dem Kopf. Die zwei Menschen, die auf den ersten Blick so gar nicht zusammen passen und ich habe mich gleich zu Anfang gefragt, warum die beiden den Weg laufen.
Ich kann es dir hier erzählen: Eigentlich sind es zwei Arbeitskollegen. Mann und Frau, zwei Köche. Er tätowiert, sie ziemlich „verhuscht, leise und unscheinbar“ Auf den ersten Blick total konträr und nicht wirklich zusammen passend. Ich durfte beim gemeinsamen Abend erfahren, dass der Mann von ihr vor zwei Jahren verstorben ist und sie sich alleine nicht traut, den Weg zu laufen. Er wollte eigentlich über die Schweizer Alpen nach Santiago, da er gerade zwischen zwei Jobs war, kam aber mit seinem 20kg Rucksack nicht weit. Hatte sofort eine entzündete Sehne und daheim hat er kurzer Hand einen Fllug gebucht nach Porto. Sie ist trotz Arthrose ihm dann nachgeflogen und die beiden sind dann spontan gemeinsam aufgebrochen. Ich find so was wahnsinnig toll, was aus nur Arbeitskollegen alles passieren kann.
Lässt es mich aber auch nachdenklich werden..
An meinem Zielort finde ich eine tolle neue Herberge mit Restaurant und schwelge im Calamarisfieber.
Zahlen, Daten, Fakten
24,6 km
Laufzeit: 04:50, gesamte Zeit: 07:11
höchster Punkt: 280m, niedrigster Punkt 60m
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